Ikarus in der Grüntaler

Ich trinke gerade den ersten Schluck meiner Cola, als der Krankenwagen in die Grüntaler Straße einbiegt. Es ist über 30 Grad, der Schweiß läuft mir den Rücken runter und wegen des löchrigen Sonnenschirm nehme ich meine Umwelt nur mit zugekniffenen Augen wahr.

Als ich den Obdachlosen vorhin im Schatten eines Autos liegen sah, habe ich eine Person aus der Menschentraube teilnahmslos gefragt, ob sie schon einen Krankenwagen gerufen hätte. Sie bejahte die Frage stolz und ich ging die paar Meter weiter zum Späti um mir eine Cola zu besorgen und mich erfolglos vor der Sonne zu schützen.

Wir drei sitzen nun schon seit einigen Minuten an dem runden Tisch, den der Besitzer des Spätis vor den Laden gestellt hat. Wir reden nicht miteinander. Ich versuche das Schweigen zu brechen indem ich den beiden vorschlage, heute Nacht auf einen Rave zu gehen. Die Idee kommt nicht sonderlich gut an. Wir verfallen wieder ins Schweigen.

Der Rettungsassistent holt eine Liege aus dem Krankenwagen. Scheinbar muss er tatsächlich mitgenommen werden. Ich nehme den letzten Schluck Cola und beobachte wir der ältere Mann auf die Liege gehoben und in den Krankenwagen gebracht wird. Der Krankenwagen fährt los, die Menschentraube löst sich auf, wir bleiben sitzen.

Bisher habe ich immer gedacht, das der Winter die schlimmste Jahreszeit für Obdachlose sein müsste. Vielleicht ist es aber auch der Sommer. Ich habe bisher auf jeden Fall noch nie von Hitzetaxis gehört, dafür ist mein Feed im Winter voller Verweise auf Kältetaxis.

Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche und drehe es zwischen Zeigefinger und Daumen gepresst um 180°. Die Bewegung hat etwas von einem Cowboy aus einem alten Western – bereit um sein Gegenüber umzulegen. Für den Move habe ich bisher wenig Anerkennung bekommen. Mein Daumen gleitet ohne große Überlegungen zu Instagram. Ich streife mich durch das Leben anderer Menschen. Die Leuten haben im Sommer bessere Stories als im Winter.

Wir stehen auf und gehen Richtung Wohnung. Die beiden haben sich doch noch dazu entschlossen um die Häuser zu streifen. Ich habe damit kein großes Problem, ich brauche Zeit für mich, ohne Kontakt zur kalten Realität an heißen Sommertagen. Wir verabschieden uns mit einem High five, ich übergebe den Beiden meinen Schlüssel und verschwinde in mein Zimmer. Ich lasse mich auf das Bett fallen. Ich falle gefühlt mehrere Meter tief und sehe den Ozean unter mir. Der Schweiß auf meinem Rücken erinnert mich an geschmolzenes Wachs.

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